Reisebericht Kamtschatka

von Berlisax auf 30.06.2020

Trekking im Land der Vulkane

Bei meiner Begeisterung für Vulkane lag es nahe, einmal dem Gebiet mit den meisten aktiven Vulkanen einen Besuch abzustatten: Kamtschatka. Auf dieser Halbinsel im Osten Sibiriens gibt es ca. 150 Vulkane, davon sind allein noch 30 aktiv.

Nun ist es nicht gerade ein Kinderspiel, einfach mal so nach Kamtschatka zu fliegen und sich auf Entdeckungstour zu begeben. Bis 1990 faktisch für ausländische Besucher gesperrt, entwickelt sich der Tourismus (zum Glück?) nur langsam. Zwar ist ein individuelles Reisen im Land durchaus möglich, aber bei der vorhandenen Infrastruktur und der nötigen Organisation einer solchen Tour fiel meine Wahl schließlich auf eine organisierte Reise. Ich habe mich für DIAMIR entschieden, einen bekannten Reiseveranstalter aus Dresden, der mit Abstand das beste Preis-Leistungs-Verhältnis bot. Ich habe meine Wahl nicht bereut! Zusammen mit zehn weiteren Kamtschatka-Interessierten begab ich mich auf eine Tour in das Land der Vulkane.


Petropavlovsk-Kamchatsky (oder Kamtschatskij) ist mit über 250.000 Einwohnern die mit Abstand größte Stadt Kamtschatkas. Nachdem die Einwohnerzahl seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion immer weiter zurückging, steigt sie inzwischen angeblich wieder an. 1740 überwinterte hier in der Avacha-Bucht Vitus Bering auf seiner zweiten Kamtschatka-Expedition. Er sollte im Auftrag des Zaren die Küste Alaskas erkunden. Nach seinen beiden Schiffen “St. Peter” und “St. Paul” hat die Stadt ihren Namen erhalten.

Die Stadt zu Füßen der beiden Vulkane Koryaksky (3.456 m) und Avachinsky (2,751 m) ist sehr weitläufig und zu Fuß kaum zu erlaufen. Am Hafen befindet sich noch eine der wenigen Leninstatuen, die die Sowjetzeit überlebt haben. Hier in der Nähe gibt es auch die Möglichkeit, im Kaufhaus GUM einige Souvenirs zu erstehen oder sich im Naturkundemuseum über Geschichte und Natur Kamtschatkas zu informieren.

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Da wir einige Vulkane besteigen wollten, nutzten wir die Gelegenheit, um dem (äußerlich unscheinbaren) vulkanologischen Institut der Stadt einen Besuch abzustatten. Das ist eines der international angesehensten Forschungs-einrichtungen. Wo hat man schon die Möglichkeit, so eine große Anzahl aktiver Vulkane direkt vor der Haustür zu erforschen.

Nach einem Akklimatisationstag in Petropavlovsk (11 h Zeitunterschied wollen verkraftet sein) steht unsere erste Trekkingtour auf dem Programm: die Besteigung des 2.751 m hohen Vulkans Avachinsky. Nachdem wir uns auf dem Markt in Elizovo mit ausreichend Nahrungsmitteln eingedeckt haben, fahren wir mit unserem GAZ über Asche und Schneefelder bis zum Sattel auf 850 m Höhe zwischen den Vulkanen Koryaksky und Avachinsky. In einer der 3 Blockhütten beziehen wir Quartier und können bei aufklarendem Himmel erstmals die Rauchfahne auf dem Gipfel bewundern. Zur Vorbereitung auf die Tageswanderung steht der kleine, 1.200 m hohe Pik Werbljud (“Kamelhügel”) auf dem Programm. Auf dieser zweistündigen Tour können wir unsere Ausrüstung testen und uns etwas einlaufen.

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Am nächsten Morgen heißt es früh aufzustehen. Bei wolkenlosem Himmel und Sonnenschein machen wir uns kurz vor 8 Uhr auf den Weg zum Gipfel.

Zunächst geht es nur langsam aber stetig bergan. Anatoli, unser russischer Guide, legt ein ordentliches Tempo vor. Beim Lunch auf 2.000 m Höhe macht uns ein eisiger Wind zu schaffen und wir suchen Schutz zwischen den Felsen. Der Gipfel ist aber immer noch nicht zum Greifen nah. Über Schneefelder kommen wir zum steilen Teil der Veranstaltung. Der Vulkankegel weist hier 30° Steigung auf. Über sandigen und rutschigen Untergrund quälen wir uns den kaum erkennbaren, serpentinenartigen Weg nach oben. Ich habe das Gefühl, bei zwei Schritten immer wieder einen nach unten abzurutschen. Als wir schließlich das Seil erblicken, das zur Unterstützung des letzten steilen Abschnitts angebracht ist, wissen wir, dass wir es gleich geschafft haben.

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Der Anblick, der sich uns jetzt bietet, ist atemberaubend. Umrandet von rötlichen und gelben Wällen scheint sich eine schwarze, blumenkohlartige Lavamasse ihren Weg zu suchen. Bei unserem Rundgang entlang des Kraterrands kommen wir an vielen Fumarolen vorbei. Nach etwa 100 m stoppt eine Spalte die Fortsetzung unseres Weges, aus der eine starke Rauchwolke aufsteigt. Am hinteren Rand des Kraters können wir erkennen, dass sich die Lava auf dieser Seite langsam über den Kraterrand hinausschiebt.

Schweren Herzens treten wir gegen 15 Uhr den Abstieg an. Und der hat es noch einmal in sich. Zwar kann man auf dem sandigen Untergrund zunächst ganz gut nach unten rutschen, aber die Knie fangen doch langsam an zu schmerzen. Dazu kommt noch, dass meine Wanderschuhe wohl doch noch nicht so gut eingelaufen sind. Unter Zuhilfenahme der Wanderstöcke erreiche ich ziemlich ausgelaugt gegen 17.30 Uhr das Camp. Blasen an Fußballen und -sohle sind das Ergebnis. Bei der Aussicht auf eine Banja und ein leckeres Baltika-Bier ist der Schmerz aber schnell vergessen.

Als wir 3 Wochen später auf dem Rückflug vom Tal der Geysire den Avachinsky mit dem Hubschrauber umrunden, können wir seine ganze Pracht noch einmal bestaunen.

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Die Wunden sind kaum geleckt, da geht es mit unserem GAZ gleich weiter in den Süden. Ziel ist das Gebiet um die beiden Vulkane Mutnovsky (2.323 m) und Gorely (1.829 m). Schon bei der Fahrt über einen 800 m hohen Pass stellen wir fest, dass hier noch richtig viel Schnee liegt. Die Schneewände am Straßenrand werden immer höher und am Horizont ragen nur ein paar grüne Inseln aus den Schneefeldern heraus. Das bedeutet für uns, dass wir nicht sehr weit an den Mutnovsky heranfahren können. So haben unsere russischen Begleiter eine kleine Insel (etwa 50 m Durchmesser) unweit der Straße an einem zugefrorenen See für uns ausgesucht. Bei Temperaturen um 25°C bauen wir zunächst unsere Zelte auf und erfrischen uns an dem kleinen Rinnsal, das am Inselrand entlangfließt.

So richtig können wir das gar nicht begreifen: da drückt die Sonne von oben und wir stapfen durch den Schnee. Bei einem kleinen Spaziergang zu einer etwas größeren Insel haben wir einen perfekten Blick auf den Mutnovsky, den wir in einer Wanderung am nächsten Tag erreichen wollen. Die Insel selbst ist ein reinstes Farbenmeer, denn überall blühen Tundrablumen.

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In der Nacht kühlen die Temperaturen deutlich ab, so dass der Schnee bei unserem Abmarsch kurz vor 8 Uhr ausreichend Trittfestigkeit bietet. Den Tagesrucksack auf den Schultern marschieren wir los. Der Berg scheint gar nicht so weit entfernt und wir kommen auf dem Schnee auch gut voran, aber der Weg will einfach kein Ende nehmen. Schließlich schaffen wir es doch bis zum Eingang in den Krater und sind schon ganz gespannt, was uns dahinter erwartet. Am Kratereingang haben sich kleine, kegelförmige Eishügel gebildet, an denen sich Sand und Asche verfangen haben. Auf dem Weg weiter in das Zentrum des Kraters hinein erblicken wir schon von weitem eine große Rauchsäule. Darüber kalbt ein kleiner Gletscher. Es zischt und brodelt an allen Ecken. Ein geeigneter Platz zum Mittag ist schnell gefunden.

Gestärkt schauen wir uns etwas genauer um. Da ist ein kleiner rötlichbrauner See. Gegenüber wirkt ein großes dampfendes Schwefelloch wie der Eingang zur Hölle. Aufmerksam spazieren wir um die Fumarolen und Blubberlöcher herum, denn ein Fehltritt würde uns sicher nicht gut bekommen.

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Über Schnee geht es weiter zum 2. Krater. Dieser war noch vor nicht so langer Zeit mit einem Säuresee gefüllt. Der See ist jedoch ausgelaufen, so dass wir auf das Spektakel eines in einen Säuresee kalbenden Gletschers verzichten müssen. Aber auch so ist der Anblick faszinierend. Vorsichtig laufen wir am Steilhang entlang und ziehen uns an einem Seil zum Kraterrand hoch, von wo wir einen Blick in den 3. Krater werfen können. Hier wimmelt es nur so von dampfenden Schwefellöchern.

Es ist Zeit, den Rückweg anzutreten, denn auf uns wartet noch ein anstrengender Marsch durch den Schnee. Der ist durch die starke Sonne mittlerweile ziemlich weich geworden, so dass die Schritte jetzt mehr Kraft kosten. Aber die Aussicht auf ein schneegekühltes Baltika-Bier setzt letzte Kraftreserven frei. Völlig durchgeschwitzt erreichen wir gegen 18.30 Uhr das Camp. Das GPS bestätigt uns, dass wir heute 30 km gelaufen sind, davon bestimmt 25 km über Schnee. Nicht schlecht!

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Pünktlich zum Aufstehen gegen 7 Uhr geht die Sonne am Horizont auf. Es scheint wieder ein warmer Tag zu werden. Zwar ist die Tour zum 1.829 m hohen Gorely nicht ganz so lang wie die zum Mutnovsky, aber es muss erstmal geschafft werden. Kurz vor 9 Uhr sind die Tagesrucksäcke gepackt und wir stapfen los. Die Sonne macht sich schon bemerkbar, denn der Schnee ist heute deutlich weicher als gestern. Wir wandern am Ufer des kleinen zugefrorenen Sees entlang, auf dem immer mehr Eisschollen aufbrechen. Nach einer Stunde geht es langsam bergan. Längere Abschnitte über Schnee wechseln sich mit Tundrainseln ab. Zunehmend sind die Inseln weniger bewachsen und größere Lavabrocken säumen unseren Weg.

Auf den Steinen merke ich wieder die Blasen an der Unterseite meiner Füße. Aber da muss man jetzt eben mal die Zähne zusammenbeißen. Über Geröll gelangen wir zum Sattel zwischen den Bergen. Nach einer kurzen Rast machen wir uns an den steilen Anstieg zum Kraterrand. Und der hat es nochmal in sich. Hier haben sich kleine Rillentäler gebildet, in denen wir versuchen hochzulaufen. Der Untergrund ist so locker und sandig, dass wir immer wieder ein kleines Stück nach unten abrutschen und kleine Steine lostreten. Als wir den Kraterrand erreichen, öffnet sich der Blick in den ersten Krater. In einem grünen See treiben kleine Eisschollen, die vom vergletscherten Rand abbrechen. Dass der ganze Abhang zum See aus Eis besteht, erkennen wir erst auf den zweiten Blick, denn er ist von einer Sand- und Lavaschicht überzogen.

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Wir wandern noch etwas weiter auf dem Kraterrand entlang, bis wir schließlich gegen 12.30 Uhr den eigentlichen Gipfel des Gorely erreichen. Zeit für Mittag! Von hier haben wir einen tollen Blick über die Schneefelder ins Tal. Am Horizont ragt der 2.173 m hohe Vilyuchinsky heraus.

Nach der Rast laufen wir noch etwas weiter. Langsam kommt der zweite Krater zum Vorschein. An einer Landspitze ist Schluss. Hier geht es steil den Abhang hinunter. Unten sehen wir einen giftig grünen See. Wir lassen uns erzählen, dass es sich dabei um 10%-ige Schwefelsäure handelt. An kleinen Wölkchen am Rand des Sees erkennen wir, dass die Suppe auch noch ordentlich warm sein muss.

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Ein paar Ich-und-der-See-Fotos sind schnell geschossen und kurz vor 14 Uhr machen wir uns auf den Rückweg. Zum Glück habe ich Trekkingstöcke, um etwas Belastung von den Füßen zu nehmen. Ohne die Dinger könnte ich mir das gar nicht mehr vorstellen. Sobald die Schneefelder erreicht sind, läuft es sich wesentlich angenehmer. Es ergibt sich auch die Gelegenheit für einige Rutschpartien. Als wir wieder den See erreichen, ist es nur noch etwa eine Stunde. Das setzt noch einmal einen Adrenalinstoß frei. Denn nichts ist schöner, als nach der Ankunft gegen 16 Uhr ein kaltes Baltika-Bier zu genießen. Wir nutzen die Ruhe, um etwas auszuspannen. Das Thermometer zeigt 29°C im Schatten. Unglaublich, und ringsum nur Schnee!

Am nächsten Morgen heißt es nach dem Frühstück zunächst, die Sachen zusammenzupacken und die Zelte abzubauen. Gegen 9.30 Uhr verlassen wir unsere Insel und fahren auf der Straße weiter in Richtung Mutnovsky. Die Schneewände am Straßenrand erreichen mittlerweile mehrere Meter Höhe. Wir haben jetzt noch die Gelegenheit, das im Jahr 2002 in Betrieb gegangene Geothermalkraftwerk (2 x 25 MW) zu besichtigen. Hier hat man das unterirdische Lavafeld des Mutnovsky an mehreren Stellen angezapft und versorgt jetzt große Teile Kamtschatkas mit Energie. Finanziert wurde das Projekt mit Krediten der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, Siemens baute die Maschinen. 40 Leute arbeiten hier unter modernen Arbeitsbedingungen in Schichten von 12 h und werden nach 14 Tagen abgelöst.

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Nach etwas Entspannung in unserem Hotel in Paratunka liegt am nächsten Tag eine über 500 km lange Fahrt ins nördliche Vulkangebiet vor uns. Auf dem Markt in Elizovo kaufen wir zunächst noch etwas Proviant ein. Bei einem Zwischenstopp in Malki nutzen einige von uns die Gelegenheit, um in den dortigen heißen Quellen ein Bad zu nehmen. Aus der anfangs noch asphaltierten Straße ist inzwischen eine Staubpiste geworden, die sich wie ein helles Band durch die dichten Birkenwälder zieht. Wir haben das Wetter wieder auf unserer Seite, denn als die Vulkane am Horizont auftauchen, strahlt die Sonne am wolkenlosen Himmel. Als wir am Abend mit der Fähre über den Kamtschatka-Fluss setzen, können wir unser Glück kaum fassen. Uns bieten sich atemberaubende Blicke auf die ganze Vulkankette mit Klyuchevskoy (4.750 m), Kamen (4.585 m) und Tolbachik (3.672 m). Kurze Zeit später haben wir das Dorf Kozyrevsk erreicht, eine der ältesten Siedlungen auf Kamtschatka.

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Hier beziehen wir in “Marina’s Garten” in netten Finnhütten Quartier. Das Dorf entspricht genau dem, was ich mir unter Sibirien vorstelle: verzierte Holzhäuser und umherschwirrende Mücken.

Am nächsten Morgen fahren wir mit unserem GAZ weiter auf der Aschepiste durch dichten Wald. Plötzlich stoppt Sascha, unser Fahrer, und zeigt uns an, dass wir aussteigen sollen. Vor uns auf dem Weg erkennen wir taufrische Bärenspuren, und zwar richtig große! Aber Angst hat keiner von uns, so dass wir die kleine Pause nutzen, um uns mit leckeren Blaubeeren einzudecken, die in Massen in den Taigawäldern wachsen. Allerdings kommt hier unser Mückennetz zum Einsatz. Die Biester machen uns schon kräftig zu schaffen. Das ist aber nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was uns kurze Zeit später erwartet.

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Von Staubpiste ist plötzlich nichts mehr zu sehen. Vor uns breitet sich eine riesige Schlammpfütze über den ganzen Weg und bestimmt 100 m weit aus.

Sascha versucht mehrfach vergeblich, die Passage zu meistern. Es nützt nichts, wir müssen aussteigen und die Stelle im Wald umlaufen. Dort steht das Wasser allerdings nur etwas niedriger. Die Mücken sehen ihre Chance und stürzen sich sofort auf uns. Da bleibt nur eins: Augen zu und durch! Sascha hat es inzwischen ohne uns durch den Schlamm geschafft und wir schlagen wie wild um uns, um die restlichen Mücken aus dem Fahrzeug zu bekommen. Kurze Zeit später liegt der Wald hinter uns und der Tolbachik kommt in Blickweite. Vor uns dehnt sich ein riesiges Aschefeld aus, Resultat der großen, 450 Tage dauernden Eruption der Jahre 1975/76. Wir erreichen schließlich das Lunokhodchik Camp und bauen unsere Zelte auf. Das Camp hat seinen Namen von den russischen Mondfahrzeugen erhalten, die hier unter vergleichbaren Bedingungen getestet wurden.

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Wir machen einen kurzen Ausflug in die Mondlandschaft hinein und klettern auf einige der Aschehügel. Unfassbar, bis zum Horizont nichts als roter und schwarzer Lavastaub.

Die Besteigung des Plosky Tolbachik (3.085 m) wird wieder eine echte Herausforderung. Kurz vor 8 Uhr beginnt die Wanderung, die zunächst fast nur über Asche führt. Wir kommen an sogenannten Lavabomben vorbei. Diese entstanden, als Lava so hoch herausgeschleudert wurde, dass sie in der Luft abkühlte und die aerodynamische Kugelform annahm. Nach mehr als 4 h haben wir den Fuß des Plosky Tolbachik erreicht. Das letzte Stück ist nicht nur steil, sondern auch voller rutschigem Geröll und kostet sehr viel Kraft.

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Gegen 14.30 Uhr habe aber auch ich es auf den Gipfel geschafft. Bis zum Boden des Kraters können wir nicht blicken, er ist einfach viel zu tief. Leider hat sich auch der Himmel etwas zugezogen, so dass es nichts mit einem grandiosen Ausblick wird. Nur schemenhaft erkennen wir den Kamen (4.585 m) zwischen den Wolken. Wir machen uns vorsichtig an den Abstieg. Der Rückweg wird nochmal richtig lang und ich merke wieder die Blasen an meinen Füßen. Völlig kaputt erreiche ich nach insgesamt 11,5 h und 30 km Wanderung das Lager. Zum Glück haben wir uns noch eine Flasche Bier aufgehoben... Aber auch Micha, unser Koch, versteht es wie immer, mit einem leckeren Essen die Anstrengungen des Tages vergessen zu lassen.

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Am nächsten Morgen packen wir unsere großen Rucksäcke. Es steht eine sechstägige Trekkingtour um den Tolbachik und entlang der Vulkane Bezymianny, Klyuchevskoy und Kamen an. Am ersten Tag geht es zunächst über Lavafelder leicht bergan. Die Spitzen der Udina (2.923 m) und der Zimina (3.081 m) kommen ins Blickfeld, als das Gelände beim Abstieg zum Fluss Tolud deutlich grüner wird. Der Weg steigt danach wieder leicht an und wir müssen immer wieder kleine steinige Flusstäler durchqueren, die sich in die Landschaft gekerbt haben. Der Himmel sieht teilweise bedrohlich aus. Ein Gewitter zieht auf und ein Blitz schlägt krachend nur einige hundert Meter von uns entfernt ein. Zum Glück nieselt es nur wenig. Immer wieder stoßen wir auf Bärenspuren. Schließlich haben wir unser Erfolgserlebnis und entdecken am anderen Flussufer in ca. 500 m Entfernung unseren ersten Bären. Die Suche nach einem geeigneten Platz zum Campen gestaltet sich schwierig, da unser Koch natürlich Wasser benötigt und die Flüsse wegen des sonnigen Wetters der letzten Tage meist ausgetrocknet sind. Kurz unterhalb des Tolud Passes finden wir aber eine geeignete Stelle, wo wir unsere Zelte aufbauen.

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Als wir am nächsten Morgen unsere Wasserflaschen auffüllen wollen, müssen wir feststellen, dass im Fluss kein Wasser mehr fließt. Vom Tolud Pass steigen wir hinab über grüne Wiesen und mehrere Flusseinschnitte bis zum Fuß der Zimina, wo uns Micha zum Mittag mit einer leckeren Suppe versorgt. Über den Tolbachik Pass (1.500 m) steigen wir hinab, wo wir am Jupiter-Krater, einem kleinen Vulkankegel, unser Camp errichten.

In der Nacht fängt es kräftig an zu regnen. Da der Regen auch den ganzen Vormittag noch anhält, beschließen wir, heute im Camp zu bleiben. Am Nachmittag unternehmen wir trotzdem einen kurzen Ausflug zu einem faszinierenden Basaltfelsen unweit des Lagers.

Die Stimmung steigt deutlich, als am nächsten Morgen die Sonne aus den Wolken hervorkommt. Hinter einer Bergkette taucht plötzlich die Spitze des 4.585 m hohen Kamen (“Felsen”) über den Wolken auf. In seiner Form erinnert er stark an das Matterhorn. Beim Übergang ins nächste Tal schlägt das Wetter leider wieder um. Bei tiefhängenden Wolken setzt kurz vor unserem Tagesziel, dem Plotina Camp, heftiger Regen ein. Aus dem Nebel taucht plötzlich ein Hubschrauber auf, der die im Camp wohnenden Geologiestudenten mit Lebensmitteln versorgt.

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Das Plotina Camp liegt direkt unterhalb des Bezymianny (2.882 m) und sollte uns eigentlich als Ausgangspunkt für eine Tagestour zum Kraterrand dienen. Da der Bezymianny aber im Moment ziemlich aktiv ist und in diesem Jahr schon zwei Unfälle wegen Steinschlags passierten, fällt die Entscheidung gegen eine Besteigung. Als Entschädigung dafür erhalten wir am Abend bei aufklarendem Himmel einen fantastischen Blick auf den Tolbachik bei untergehender Sonne.

Über den Bezymianny Pass (1.500 m) wandern wir am nächsten Tag wieder in ein anderes Tal, wo sich bei Sonnenschein immer wieder faszinierende Blicke ergeben. Als wir nach der Überquerung des Flusses Studenaya auf der Suche nach einem geeigneten Platz für die Mittagspause sind, schrecken wir einen Bären auf, der sich an einem kleinen See erfrischen wollte und nun schnell das Weite sucht. Kurze Zeit später erblicken wir an anderer Stelle ein zweites Exemplar, das wild den Boden nach Essbarem durchwühlt. Neben ihm liegen zwei fellüberzogene Objekte. Da wir aus der Ferne nicht erkennen können, ob es sich dabei um seinen Nachwuchs oder um seine Beute handelt, ziehen wir uns vorsichtig zurück.

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Unser heutiges Camp liegt traumhaft. Hier bietet sich ein herrliches Panorama mit Blicken auf alle umliegenden Vulkane. Einige von uns unternehmen noch einen Ausflug zu einem Canyon, wo sich die Studenaya in Stromschnellen durch abgeschliffene Basaltfelsen schlängelt.

Der Sonnenuntergang im Camp ist ein Traum. Die untergehende Sonne färbt die schneebedeckten Flanken des Kamen in ein tiefes Orange.

Die letzte Etappe ist kurz. Bis zu dem Punkt, an dem Sascha mit seinem GAZ auf uns wartet, sind es nur wenige Kilometer. Unterwegs genießen wir bei wolkenlosem Himmel noch einmal die Atmosphäre. Vom Bezymianny grüßt eine kräftige Rauchfahne zum Abschied.

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Neben einem Willkommensbier hat Sascha mit Nougatcreme und süßer Sahne noch einige Leckereien mitgebracht, auf die wir in den letzten Tagen verzichten mussten. Jetzt müssen wir leider auch Abschied nehmen von unserem russischen Guide, dem Koch und den Trägern, die alle einen fantastischen Job gemacht haben. Wir begeben uns auf die Rückfahrt nach Kozyrevsk und einen Tag später fahren wir die 500 km zurück ins Hotel nach Paratunka.

Die letzte Woche soll noch einmal ein absoluter Höhepunkt werden. Auf den Hubschrauberflug ins Tal der Geysire habe ich mich schon lange gefreut. Nun ist es soweit. Wir begeben uns zum “Aeroport Avachinsky” bei Elizovo, wo schon einige MI-8 Hubschrauber lärmen. Nach lächerlichen Sicherheitskontrollen wird zunächst das Gepäck im hinteren Teil der Maschine verstaut, bevor die 20 Passagiere einsteigen. Als wir zum 75-minütigen Flug abheben, ist der Lärm höllisch. Wir lassen den Koryaksky und Avachinsky rechts liegen und haben einfach einen genialen Ausblick. Ob es mäandernde Flüsse oder schneebedeckte Vulkane sind, es ist fantastisch. Der Höhepunkt ist erreicht, als wir zunächst eine große Extrarunde um den Vulkan Karymsky und kurz später um den türkisfarbenen Kratersee des Maly Semyachik fliegen.

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Kurz vor der Landung im Tal der Geysire drehen wir eine kleine Ehrenrunde, bevor wir sanft im tiefen Gras aufsetzen. Bei laufenden Rotoren schnappen wir unser Tagesgepäck und entfernen uns zügig von der Maschine, um nicht vollends taub zu werden. Der Heli mit unserem großen Gepäck und den Nahrungsmitteln hebt gleich wieder ab und fliegt noch ein Stück weiter zur Uzon Caldera, wo wir heute übernachten werden.

Direkt neben dem kleinen Landeplatz befindet sich ein großes Blockhaus der Nationalparkverwaltung. Wir halten uns hier aber zunächst nicht lange auf, sondern beginnen mit unserer hübschen russischen Führerin mit dem Rundgang durch das Geysirtal. Die Wege sind hier gut erschlossen und durch Holzstege befestigt, was mich stark an den Yellowstone Nationalpark erinnert.

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Die erste Station ist der Große Geysir. Seinen Namen hat er nicht wegen seiner hohen Fontäne, denn diese ist “nur” bis zu 12 m hoch. Vielmehr hat die Austrittsöffnung des ca. alle 1,5 h für einige Minuten ausbrechenden Geysirs einen ziemlich großen Durchmesser. Kurz hinter dem Großen Geysir liegt der Kleine Geysir, der allerdings mit bis zu 17 m eine deutlich größere Höhe erreicht. Sein Strahl schießt alle 30 bis 40 Minuten in einem Winkel von 45° aus der Erde in Richtung des Flusses Geysirnaya, ein absolut beeindruckendes Schauspiel.

Der Geysirnaya schlängelt sich durch das gesamte Tal und nimmt das herausströmende Wasser der Geysire auf. Er hat, so erfahren wir, im Sommer eine durchschnittliche Temperatur von 26°C und im Winter immerhin noch von 16°C! Wir gehen weiter flussaufwärts an einem kleinen heißen Wasserfall vorbei zur großen Plattform, auf der mehrere Geysire und heiße Quellen sprudeln.

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Die Wassermassen ergießen sich den Felsen hinunter zum Fluss und hinterlassen eine Ablagerung, das sogenannte Geyserit. Die Namen vieler Geysire wie z.B. “Festung”, “Grotte”, “Höllentore” oder “Perle” zeigen an, wie stark die Fantasie des Betrachters hier angeregt wird. Am Ende haben wir Glück, dass der nur alle 7 h ausbrechende Riesige Geysir (“Velikan”) gerade seine Fontänen in die Luft wirbelt. Diese schaffen es immerhin bis auf 25 m Höhe, wobei die Dampfsäule schon bis zu 100 m hoch werden kann. Oberhalb der Plattform kommen wir an einigen Blubberlöchern vorbei. Zum einen sind da dampfende Wasserpools und zum anderen Schlammlöcher, an deren Oberfläche sich immer wieder neue Blasen bilden. Ein kleiner Geysir trägt den Spitznamen “Toilettenspülung”, weil er sich nach einem kurzen Wasserschwall rauschend in ein Loch zurückzieht.

Nach 2 h zwischen Wasserfontänen stärken wir uns bei Räucherlachs und Tee und machen uns anschließend auf den Weg in die Uzon Caldera.

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Auf dem dreitägigen Ausflug in die Uzon Caldera begleitet uns Maxim, ein bewaffneter Ranger. Dies ist Vorschrift und irgendwie auch etwas beruhigend. Individuelle Fortbewegung ist in diesem Schutzgebiet nicht erlaubt und außerdem gibt es hier eine große Anzahl Bären.

Zunächst geht es entlang des Flusses Geysirnaya und anschließend einen Anstieg hinauf durch dicht gewachsene Sträucher. Maxim ist schon aus dem Blickfeld verschwunden, so ein Tempo legt er vor. Ich frage mich, ob er im Ernstfall mit seiner Knarre noch rechtzeitig zur Stelle sein könnte. Inzwischen hat das Terrain in rutschigen Boden und dichtes, teilweise 2 m hohes Gras gewechselt. Wir erkennen kaum noch, wo wir hintreten und sind mehr als froh, dass unser großes Gepäck nicht auf unseren Rücken lastet, sondern schon mit dem Heli zum Zielort gebracht wurde.

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Über Wiesen voller Lilien geht es weiter an einem Bach entlang. Immer wieder liegt Bärenkot am Weg und kurz später sehen wir dann auch zwei Bären vor uns. Die haben uns aber offenbar bemerkt und suchen schnell das Weite. Am späten Abend erreichen wir unsere Hütten im Gluchoy Lager. Das Gepäck ist auch da, so dass wir uns zur Feier des Tages ein Baltika-Bier genehmigen.

Am nächsten Morgen laufen wir durch tiefes nasses Gras an einem Fluss entlang in Richtung Caldera. Das Gras sieht stellenweise aus, als wäre es mit Wolle überzogen, denn immer wieder glänzen nasse Spinnennetze im Sonnenlicht. Der Boden wird sumpfiger und am Horizont erkennen wir Dampfschleier, die über der Caldera hängen. Als wir näher kommen, wird klar, dass es sich dabei nicht um Nebel handelt, sondern um Rauchsäulen heißer Quellen. Mit schnellen Schritten durchqueren wir einen kleinen Fluss und sichten inmitten dampfender Löcher eine Bärenmutter mit ihrem Jungen. Wir erreichen den Bannoje-See, in dem man angeblich sogar baden kann. Ich finde ihn allerdings nicht sehr einladend, als ich erfahre, dass der See 30 m tief ist und die untersten 7 m aus 140°C heißem flüssigem Schwefel bestehen sollen.

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Nach einer kurzen Rast an einer Vulkanologen-Hütte erkunden wir weiter die Umgebung. In den Schlammlöchern ist mächtig was los. Wir müssen schon etwas aufpassen, dass wir nicht zu nah herantreten, denn die Schlammfetzen spritzen teilweise ziemlich hoch. Wir wandern noch ein Stück weiter zum malerischen Dalnoje-See. Dieser tiefblaue und klare Kratersee lädt schon eher zum Baden ein, was einige von uns sofort ausnutzen. Auf dem Rückweg animiert uns Maxim zum Angeln. Er holt einen Blinker aus der Tasche und demonstriert, wie man damit Fische fängt. Innerhalb kurzer Zeit haben wir 3 Saiblinge aus dem Fluss geholt. Aus Fisch und Lagerfeuer wird es aber leider nichts, da unsere Köchin die Teile missverständlicherweise in die Suppe schneidet. Aber auch so schmeckt der Fang ganz gut.

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Für den nächsten Tag haben wir uns eine Wanderung in das Tal des Todes vorgenommen. Der Weg gestaltet sich als etwas beschwerlich. So müssen wir uns über nasse Wiesen mit hohem Gras und durch dichtes Gestrüpp kämpfen. Leider zieht sich auch noch der Himmel zu und Nebel kommt auf. Da sich unser Ranger immer an den umliegenden Bergen orientiert und diese allmählich im Nebel verschwinden, beschließen wir, nach nur 2,5 h Wanderung umzukehren. Auf dem Rückweg sichten wir noch einen Bären an einem Berghang, der sich aber auch ziemlich schnell aus dem Staub macht. Als wir zurück im Camp gerade mit unserem Mittagessen fertig sind, sehen wir durch das Fenster unserer Hütte, wie ein junger Bär mitten durch unser Camp spaziert. Wir schnappen unsere Fotoausrüstung und laufen ihm in sicherer Entfernung ein Stück hinterher.

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Meister Petz hat inzwischen schon den Fluss durchquert, der an unserem Lager entlang fliesst und strebt mittlerweile einen Berghang hinauf. Ganz aufgeregt kommt uns unsere Köchin Aljona entgegen, die gerade am Fluss mit dem Spülen des Geschirrs beschäftigt war und beim Anblick des Bären direkt neben ihr die Beine in die Hand genommen hat. Wo man doch nun gerade nicht weglaufen soll, wenn man einem Bären begegnet! Aber ist ja alles gut gegangen.

Am nächsten Morgen steht der Rückmarsch ins Tal der Geysire an. Mit vollem Gepäck machen wir uns bei stärker einsetzendem Regen auf den Weg. Wir kommen zunächst ganz gut voran. Kurz vor einem Pass wird es aber auch noch neblig. Meine Brille beschlägt, so dass ich mich halb blind durch das Gelände tasten muss. Bergan ist das nicht so problematisch, aber bergab sollte man schon sehen, wo man seinen Fuß hinsetzt, noch dazu, wenn der aufgeweichte Boden förmlich unter den Füßen wegrutscht. Aber nachdem ich im hohen Gras mehrfach flach liege und meine Zehenzwischenräume eine ordentliche Spülung bekommen, ist mir ziemlich alles egal. Als wir gegen Mittag die Hütten im Tal der Geysire erreichen, ist auch dieses Abenteuer überstanden und hat sogar noch Spaß gemacht.

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Uns ist allen klar, dass bei diesem Wetter kein Hubschrauber im Tal der Geysire landen kann. Wir sind gezwungen, in der Blockhütte zu übernachten und abzuwarten. Am nächsten Tag hat sich das Wetter kaum geändert. Ich nutze die kurzen Momente ohne Regen, um noch einmal das Tal zu erkunden. Dabei habe ich fast alle Geysire für mich allein, eine faszinierende Erfahrung. So langsam wird die Zeit knapp, denn am nächsten Tag soll unser Flug in die Heimat gehen! Aber es geht alles gut. Tags darauf lichten sich die Wolken und gegen 13 Uhr landet unser Hubschrauber. Am Flughafen in Petropavlovsk bleibt aber nur noch Zeit, ein paar Sachen umzupacken und um uns voneinander zu verabschieden. Unmittelbar danach checken wir ein und heben kurze Zeit später ab in Richtung St. Petersburg.

Nachtrag: Mit Bestürzung und blankem Entsetzen habe ich die Nachricht vernommen, dass infolge eines Erdrutsches und der dadurch ausgelösten Schlammlawinen vor einigen Jahren große Teile des Tals der Geysire zerstört wurden.

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